Spätaussiedler: Historischer Hintergrund
Die Auswanderung von Deutschen in östliche und südöstliche Länder Europas hat eine lange Geschichte. Diese reicht teilweise bis ins Mittelalter zurück.
Anders als die Auswanderer nach Nord- und Südamerika, die sich schnell in ihre jeweilige neue Heimat integrierten, bilden die Deutschen im Osten vielfach „Kolonien", in denen sie als Deutsche weiterleben wollen. So sind sie natürlich sehr stark den jeweiligen politischen Strömungen unterworfen und werden oft deren Opfer: Die Anzahl der außerhalb Deutschlands lebenden Nachfahren dieser Menschen wird auf rund vier Millionen geschätzt.
Russland und ehemalige UdSSR
Schon während der Tatarenherrschaft (1237 bis 1480) können deutsche Kaufleute im Rahmen der Hanse erste Niederlassungen gründen und so Russland mit dem Westen verbinden. Aber erst die nachfolgenden Zaren sorgen für eine aktive Einwanderungspolitik. Ihr Ziel ist nicht nur die Besiedelung der fast menschenleeren Gebiete, sondern vor allem die Europäisierung Russlands. Hierzu werden in erster Linie ausländische Fachkräfte ins Land gerufen: Handwerker, Baumeister, Kaufleute und sogar Wissenschaftler und Offiziere.
Deutsche Siedler machen Gebiete urbar
Diese Politik findet ihren Höhepunkt mit dem Manifest der Zarin Katharina II. im Jahre 1763: Aufgrund der Leibeigenschaft im Zarenreich fehlt es an Bauern, um weitere Gebiete urbar zu machen, vor allem an der Wolga und am Schwarzen Meer. Der Aufruf der Zarin stellt den ausländischen Ansiedlern Landbesitz in dieser Region in Aussicht sowie verschiedene Privilegien, z.B. Religions- und Steuerfreiheit und Freistellung vom Militärdienst. Rund 8.000 Familien, vorwiegend aus Hessen und Süddeutschland, folgen diesem Aufruf und siedeln sich nach zum Teil jahrelanger Reise im Wolgagebiet an. Diese „Wolgadeutschen" bilden den Grundstock der deutschstämmigen Bevölkerung in Russland. Die ersten Jahrzehnte dieser Siedler sind von Härten und Entbehrungen geprägt; zuletzt sind sie aber doch wirtschaftlich erfolgreich. Die nächste größere Gruppe von Einwanderern kommt Anfang des 19. Jahrhunderts ins Land. Unter der Herrschaft von Alexander I. werden Gebiete des Transkaukasus, der Krim und der heutigen Ukraine besiedelt. Mitte des 19. Jahrhunderts haben deutsche Siedler rund 3.000 Kolonien gegründet.
Erstarken des russischen Nationalismus
Das Leben der deutschen Auswanderer verläuft indessen nicht ohne Spannungen. Ihre sprachliche und religiöse Andersartigkeit erweckt vielfach den Argwohn der russischen Bevölkerung. Das Erstarken des russischen Nationalismus tut ein Übriges. Mit den Reformen Alexanders II. verlieren die Russlanddeutschen im Jahr 1871 auch ihre früheren Privilegien. Sie werden von nun an wie russische Bürger behandelt und müssen auch Militärdienst leisten. Die bisher praktizierte Selbstverwaltung der deutschen Siedlungsgebiete wird in 1878 aufgelöst. Unter diesen Bedingungen hält es viele nicht mehr im Land. Sie ziehen weiter nach Osten, in Teile Sibiriens, andere verlassen Russland und wandern nach Amerika aus. Diejenigen, die bleiben, können sich mit Mühe ihre relative Eigenständigkeit bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs erhalten. Man schätzt ihre Zahl auf rund 1,5 Millionen.
Während des Ersten Weltkriegs verschärft sich die Lage der Russlanddeutschen drastisch. Sie werden ihres Grundbesitzes enteignet, über 100.000 werden nach Sibirien deportiert, Tausende kommen dabei um.
Die Russische Revolution und der Bürgerkrieg in den Jahren 1917 bis 1920 bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Schicksale der deutschen Minderheit. Allerdings haben sie eine leichte Konsolidierung ihrer Lebensverhältnisse zur Folge. Die neue sowjetische Regierung hat bereits 1917 die Gleichberechtigung aller Nationalitäten auf russischem Territorium proklamiert. Als Folge davon kann in 1924 die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (Wolgadeutsche ASSR) entstehen, wodurch die dort lebende deutsche Bevölkerung ihr Ziel, die nationale Autonomie, fast erreicht hat. Das sozialistische System und die Machtergreifung durch Stalin machen dem jedoch recht schnell wieder ein Ende. Vollends zerstört werden die Autonomiebestrebungen im Jahr 1941 nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion.
Zweiter Weltkrieg trennt Siedlerfamilien
Ab August 1941 werden alle in den Wolgagebieten lebenden Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten geschlossen ausgesiedelt und nach Mittelasien und Sibirien deportiert. Mehr noch, sie werden zur so genannten Trud-Armee (Arbeitsarmee) eingezogen, wo sie Zwangsarbeit leisten müssen und in Arbeitslagern untergebracht sind. Viele überleben dieses Martyrium nicht.
Das Schicksal der Russlanddeutschen, die durch die Kriegshandlungen in den deutschen Machtbereich geraten, ist nicht besser. Nach Kriegsende werden fast 300.000 Menschen, die sich in Teilen Polens, aber auch in den westlichen Besatzungszonen befinden, „repatriiert", d.h., zurück in die Sowjetunion verbracht, wo sie in die gleichen Zwangsarbeitslager geraten. Bei diesen Repatriierungs-Transporten kommt es zu sehr hohen Menschenverlusten. Viele Familien werden auseinandergerissen. Erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg treten allmählich Erleichterungen ein. Die Deutschen werden aus der Trudarmee entlassen, bleiben aber weiterhin unter Kommandanturbewachung. Erst in 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, normalisiert sich ihr Leben wieder und die Russlanddeutschen dürften sich innerhalb der Sowjetunion relativ frei bewegen. Eine Rückkehr in ihre früheren Heimatgebiete bleibt ihnen jedoch weiterhin versagt. Ebenso ist eine Ausreise nach Deutschland nur für die wenigsten möglich.
Das ändert sich entscheidend erst Ende der 1980er Jahre mit der Politik Michail Gorbatschows.
Rumänien
Die Geschichte der deutschstämmigen Bevölkerung in Rumänien reicht bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Der ungarische König Geysa II. lässt damals deutsche Siedler aus dem linksrheinischen Gebiet in die Gegend des heutigen Rumäniens kommen. Er will damit neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden und mitteleuropäische Kultur einführen. Diese Siedler lassen sich im Karpartenbogen, im Gebiet von Siebenbürgen, nieder.
Bis 1945 keine Rumänisierung
Im 18. Jahrhundert werben die Habsburger Herrscher, insbesondere Kaiserin Maria Theresia, deutsche Siedler vorwiegend aus dem südwestdeutschen Raum für eine Ansiedlung im Banat an. Die Siedler verwandeln das weitgehend versumpfte Gebiet in fruchtbares Ackerland.
Nach 1918 wird das Banat zwischen Rumänien, Jugoslawien und Ungarn aufgeteilt, so dass die dort lebenden Deutschen drei Staaten angehören. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden deutsche Siedler in der Sathmarer Grafschaft angesiedelt, die hauptsächlich aus Oberschwaben stammen. Ebenfalls im 18. Jahrhundert werden weitere Deutsche z.B. in der Bukowina und in Bessarabien angesiedelt. Die Deutschen in Rumänien bewahren über die Jahrhunderte hinweg ihre deutsche Kultur und die deutsche Sprache, zum Teil geprägt von den Dialekten der Herkunftsgebiete. Auch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gibt es keine Versuche, die Deutschen zu rumänisieren. Sie haben allerdings unter Benachteiligungen zu leiden. Trotzdem haben die in Rumänien ansässigen Deutschen bis 1945 eine starke wirtschaftliche und soziale Stellung, wodurch ihnen auch ein intensives kulturelles Leben möglich ist.
Umsiedlung und Trennung im Zweiten Weltkrieg
Im Jahre 1940 verliert Rumänien aufgrund der politischen Ereignisse große Teile seines Staatsgebietes an die Sowjetunion, an Bulgarien und an Ungarn. Die Deutschen, die in Bessarabien und in der Bukowina leben, werden umgesiedelt. 215.000 Personen werden in das damalige Reichsgebiet verbracht. Die etwa 70.000 Deutschen, die in Nordsiebenbürgen und im Sathmarer Gebiet leben, werden zwangsweise ungarische Staatsangehörige.
Im Zweiten Weltkrieg ist Rumänien eine Zeit lang mit Hitlerdeutschland verbündet und nimmt an den Kampfhandlungen gegen die Sowjetunion teil. Der Preis hierfür ist hoch. Allein 60.000 Männer werden im Jahr 1943 in Einheiten der Waffen-SS eingezogen, wo sie schwere Verluste erleiden. Die Überlebenden, sofern sie nicht in Kriegsgefangenschaft geraten sind, verbringen die Zeit nach dem Krieg im westlichen Ausland und sind so über viele Jahre von ihren in Rumänien lebenden Familien getrennt.
Im Herbst 1944 flüchten über 100.000 Rumäniendeutsche in das damalige Deutsche Reich. Ein Teil von ihnen wird allerdings von den sowjetischen Truppen nach 1945 wieder nach Rumänien zurückgebracht.
Von den in Rumänien verbliebenen Deutschen werden ca. 80.000 Männer und Frauen im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Viele Menschen sterben unter den unmenschlichen Bedingungen oder kehren nach Jahren krank nach Hause zurück.
Ab 1990 Übersiedlung nach Deutschland
Die Rumäniendeutschen verlieren ihre politischen Rechte und werden entschädigungslos enteignet. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat die deutschstämmige Bevölkerung - neben den allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen - unter vielfältigen Benachteiligungen zu leiden. Nach 1956 verbessert sich ihre Lage aufgrund einer liberaleren Politik. Dennoch besteht der Wunsch der in Rumänien verbliebenen Deutschen auf Wiedervereinigung mit ihren durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse getrennten Familienangehörigen fort. Nach der Öffnung der rumänischen Grenzen im Jahr 1990 siedeln ca. 60 % der zu der Zeit noch in Rumänien lebenden ca. 180.000 Rumäniendeutschen innerhalb eines Jahres nach Deutschland über. Die noch verbliebenen Deutschen leiden zunehmend unter Vereinsamung, da Verwandte und Freunde das Land verlassen haben.
Am 01.01.2007 wird Rumänien in die Europäische Union aufgenommen.
Polen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 werden die Grenzen des ehemaligen polnischen Staatsgebietes entsprechend den Übereinkünften der Potsdamer Konferenz nach Westen verlegt. Ein Teil des ehemaligen Gebietes wirde der Sowjetunion zugeordnet; im Westen und Norden findet hingegen eine Erweiterung Polens um die ehemaligen deutschen Gebiete östlich der Oder und Neiße statt. Diese Gebiete sind bis 1945 fast ausschließlich von Deutschen bewohnt.
Aber auch außerhalb dieser Gebiete leben deutschstämmige Menschen, Nachkommen der deutschen Siedler, die im Mittelalter über Schlesien und Pommern hinaus nach Polen gezogen sind. Trotz aller Assimilierungstendenzen bekennt sich die Mehrheit dieser Menschen zum Deutschtum.
Bis zum Zweiten Weltkrieg ist es den deutschen Volkszugehörigen möglich, ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Nach der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg besteht für zahlreiche Menschen die Möglichkeit, über die Eintragung in die „Deutsche Volksliste", die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben.
Anfang 1945 fliehen ca. 3,6 Millionen Deutsche aus diesen Gebieten vor der Roten Armee oder werden Opfer von Vertreibungen. Hiervon kehren bis zum Sommer 1945 über eine Million Menschen wieder zurück, da sie davon ausgehen, dass die Gebiete deutsch bleiben würden.
Diskriminierung nach dem Zweiten Weltkrieg
In der Folgezeit haben die Deutschen unter vielerlei Benachteiligungen, von Diskriminierungen bis hin zu Zwangsverschleppungen und Zwangsarbeit zu leiden. In der Zeit zwischen 1945 bis 1950 werden zudem ca. 3,5 Millionen Deutsche aus Polen zwangsausgewiesen und vertrieben. Die verbleibenden etwa 1,7 Millionen Deutschen müssen sich einer „Verifizierung" ihrer nationalen Zugehörigkeit unterziehen.
Erst nach 1950 verbessert sich die Lage für die verbliebenen ca. 1,7 Millionen Deutschen etwas. Sie werden als Minderheit anerkannt und sie können ihre deutsche Kultur pflegen. Ab 1960 allerdings bestreitet Polen die Existenz einer deutschen Minderheit und stellt die Förderung der deutschen Kultur ein. So werden z.B. die deutschen Schulen aufgelöst und das Drucken deutschsprachiger Zeitungen eingestellt. Besonders haben die zweisprachigen Deutschen, die sog. Autochthonen, hierunter zu leiden, da sie von jeglicher Förderung der deutschen Kultur seitens des Polnischen Staates ausgeschlossen sind.
Der Warschauer Vertrag von 1970 erkennt indirekt eine deutsche Minderheit an, indem Deutschstämmigen die Erlaubnis zur Ausreise zugesichert wird.
Die polnische Seite geht hierbei nur von einigen zehntausend Ausreisewilligen aus. Allein das Deutsche Rote Kreuz benennt aber dem Polnischen Roten Kreuz gegenüber über 300.000 Ausreisewillige namentlich. Schätzungen gehen sogar von 1,5 Millionen Ausreisewilligen aus. Trotz der verbesserten Situation besteht bei vielen Menschen immer noch der Wunsch zur Ausreise, da viele Familien getrennt sind und die Pflege des Deutschtums in Polen immer noch nicht ungehindert möglich ist.
Ein Meilenstein für die Ausreisewilligen stellt das von den Außenministern Polens und Deutschlands Ende 1975 unterzeichnete Protokoll dar. Hierin wird die Erteilung von 125.000 Ausreisegenehmigungen innerhalb der nächsten vier Jahre zugesichert und für die Folgezeit weitere in Aussicht gestellt.
Als erstes Land des ehemaligen Warschauer Paktes greift Polen in 1981 eine Forderung des Wiener KSZE-Folgetreffens auf und will die Zusammenführung von Familien erleichtern. Ein starker Anstieg der Einreisezahlen ist die Folge, z.B. in 1989: 250.340.
Im Mai 2004 tritt Polen der Europäischen Union bei.
Weitere deutsche Sprach- und Kulturinseln in Ost- und Südeuropa
Über die bisher genannten Gebiete hinaus gibt es noch zahlreiche weitere deutsche Siedlungen z.B. in Ungarn, der ehemaligen Tschechoslowakei und in Jugoslawien. In allen Ländern Ost- und Südosteuropas existieren über Jahrhunderte hinweg deutsche Sprach- und Kulturinseln. Das Schicksal der Deutschen, die einst als Arbeitskräfte und Kolonisatoren willkommen sind, im Zuge des Aufkommens nationalstaatlicher Ideen aber aufgrund ihrer Herkunft zunehmend unter Diskriminierung und Anpassungsdruck zu leiden haben, ist im Wesentlichen ähnlich.
Die zunehmende Verschlechterung der Lebensumstände der Angehörigen der deutschen Minderheit verstärkt den Wunsch nach Aussiedlung nach Deutschland.