Reportage
Eine Menge Papierkram – und dann auch noch die Pandemie...
Ali, jetzt 16 Jahre alt, hat viereinhalb Jahre auf seine Eltern, Vater Mustafa und Mutter Wardah, sowie auf seine Schwester Kawthar und seine Brüder Nasrullah und Ahmad gewartet. Nach gut vier Jahren Trennung aufgrund des Krieges in Syrien ist die Familie wieder vereint. Ali konnte sie über den Familiennachzug nach Deutschland holen, dabei zu unterstützen, ist eine Aufgabe des DRK-Suchdienstes.
Ende 2015 ist Ali, damals 11 Jahre alt, mit seiner Oma, zwei Tanten, einem Onkel und vier kleinen Cousinen und Cousins zum bereits in Papenburg lebenden Onkel Asaad aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Ali bekam vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den „subsidiären Schutz“ zugesprochen. Mit diesem Schutz ist man, solange man noch minderjährig ist, berechtigt, seine Eltern (und hier in Niedersachsen auch seine Geschwister) mit dem sogenannten Familiennachzug nach Deutschland zu holen.
Ein langer bürokratischer Weg
Zunächst wohnte Ali gemeinsam mit Oma Nouria, seinem Onkel Asaad und Tante Maryam und deren Kindern in Papenburg. Die DRK-Migrationsberatungs- und Kontaktstelle hat ihnen geholfen, sich in Papenburg zurechtzufinden. Eine Menge Papierkram musste zum Beispiel erledigt werden: die Kinder in Kindergarten und Schule anmelden, für die Eltern einen Platz im Sprachkurs bekommen, einen Hausarzt finden, eine Haftpflichtversicherung abschließen und vieles mehr.
„Alis Eltern und Geschwister waren mittlerweile in die Türkei geflüchtet und lebten dort in einem Flüchtlingscamp. Sie mussten nun, damit wir die Familienzusammenführung starten konnten, Reisepässe und andere Dokumente besorgen. Das Beschaffen dieser Dokumente hat ganze drei Jahre gedauert, da Haus und Heimatstadt – also auch die Verwaltung der Stadt – von Alis Familie zerstört sind“, erklärt Katharina Trouw von der Migrations- und Kontaktstelle des DRK in Papenburg und fährt fort: „Im Januar 2020 waren die Reisepässe erstellt und Ali, sein Onkel und ich konnten endlich beginnen: Auf der Terminliste des Auswärtigen Amtes für subsidiär Schutzberechtigte buchten wir Termine für eine sogenannte „Vorsprache“ in der Deutschen Botschaft Istanbul.“ Das bedeute, dass Alis Eltern und Geschwister nun auf einen Termin in der Deutschen Botschaft warten durften.
„Wir füllten derweil die Visa-Anträge für die Familie aus und erklärten Alis Eltern, welche Dokumente sie bei der Vorsprache in der Botschaft vorlegen müssen, welche Übersetzungen vorhanden sein müssen und anderes mehr“, so die Beraterin. Das alles gehe immer über Telefonate oder mit Hilfe von Screenshots sowie Fotos auf dem Smartphone. Wenn die Übersetzung „hakt“, mit „Händen und Füßen“. Mit mal keiner, mal schlechter, mal guter Internetverbindung. Mit Papieren, die hier ausgefüllt und im Flüchtlingscamp in der Türkei ausgedruckt und unterschrieben werden müssen und dann hoffentlich nicht verloren gehen. „Alis Eltern, sein Onkel als Vormund, die beteiligten Behörden und wir vom Suchdienst standen in ständigem Kontakt miteinander. Viele wichtige Informationen haben wir sowohl an das Auswärtige Amt, an die Deutsche Botschaft in Istanbul und auch an Alis Eltern weitergeleitet“, berichtet Katharina Trouw und hebt hervor, dass Alis Eltern immer am Handy erreichbar sein mussten, falls die Botschaft anruft. Ist man ein-, zweimal nicht erreichbar, verfällt der Platz auf der Warteliste.
Alis Eltern und Geschwister hatten Glück. Bereits Ende Februar 2020 durften sie in der deutschen Botschaft in Istanbul vorsprechen. Die Botschaft war mit den eingereichten Unterlagen zufrieden und stellte die zügige Erteilung der Visa, die man braucht, um nach Deutschland einreisen zu dürfen, in Aussicht.
„Vor Freude konnte Ali in der Schule kaum aufpassen. Wir informierten die hiesigen Behörden über den bevorstehenden Zuzug und Alis Onkel machte sich auf die Suche nach einer Wohnung“, so die engagierte Rotkreuz-Mitarbeiterin.
Pandemie legte neue Steine in den Weg
Doch dann kam Corona: Die Deutsche Botschaft in Istanbul schloss. Die Visa, die mittlerweile zur Abholung bereitlagen, konnten nicht abgeholt werden. Im Juni 2020 war die Botschaft immer noch geschlossen, die Visa drohten abzulaufen, und die Nerven bei allen Beteiligten – und ganz besonders Alis Nerven – lagen blank. „Aufgrund einer neuen gesetzlichen Ausnahmeregelung, über die uns der DRK-Suchdienststandort Hamburg informierte, konnte ich Neuvisierungen beantragen. Das heißt, die Visa wurden aufgrund der Pandemie ohne neue Vorsprache verlängert. Wir waren erstmal alle erleichtert“, sagt Trouw.
Endlich! Familienzusammenführung in Papenburg
Alis Familie musste zwar neue Flüge buchen und bezahlen, konnte nun aber ohne Angst warten, bis Botschaft und Flughäfen wieder den Betrieb aufnehmen würden.
Im September 2020 hieß es dann: SIE SIND DA !!! Endlich konnte Ali Mama, Papa und die Geschwister in die Arme schließen. Mittlerweile war er kein 11-jähriges Kind mehr, sondern ein 16-jähriger Jugendlicher.
Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in der Landesaufnahmebehörde in Bramsche durfte die Familie sogar nach Papenburg ziehen, da Onkel Asaad mit Hilfe tatkräftiger Freunde mittlerweile eine Wohnung in Papenburg gefunden hatte. Ali musste also nicht umziehen und die Schule wechseln. Er ist jetzt derjenige, der seinen Eltern und Geschwistern beim Zurechtfinden in Deutschland hilft. Das Team des DRK in Papenburg steht ihm dabei gern zur Seite.