Reportage

Glückliches Wiedersehen nach mehr als drei Jahren

„Ist ein Flüchtling erst einmal in Deutschland anerkannt, kommt ruckzuck die gesamte Verwandtschaft hinterher“ – diese populistische Vorstellung ist noch immer weit verbreitet. Dass allerdings genau das Gegenteil der Fall ist und es etliche bürokratische Hürden zu überwinden und ein hohes Maß an Geduld aufzubringen gilt, weiß Silvia Meyer aus Nordhorn:

Seit 2016 ist sie im DRK-Kreisverband Grafschaft Bentheim für den Suchdienst zuständig und verantwortet somit eine von insgesamt zehn Suchdienst-Beratungsstellen des DRK in Niedersachsen. Meldeten sich früher noch vor allem Menschen, die sich Auskunft über den Verbleib ihrer Angehörigen im Zweiten Weltkrieg erhofften, so nehmen heute oft Geflüchtete das Angebot des Suchdienstes wahr. Jüngst gelang durch Silvia Meyers Anstrengungen eine erfolgreiche Familienzusammenführung in Nordhorn – doch vom ersten Antrag bis zum tatsächlichen Wiedersehen der Betroffenen vergingen mehr als drei Jahre.

Subsidiärer Schutzstatus ist nur der erste Schritt von vielen

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Somalierin Amena Abdi, die nach einer akuten Bedrohungslage ihr Heimatland umgehend verlassen muss und im Januar 2018 allein in die Bundesrepublik einreist. Sie stellt einen Asylantrag und erhält nach der persönlichen Anhörung eine Zuerkennung des sogenannten subsidiären Schutzstatus. Ihre fünf Kinder hatte Amena Abdi jedoch in Somalia zurücklassen müssen: Halimo, Faduma, Maryan, Isse und Anisa – im Januar 2018 zwischen zehn und 15 Jahren alt – kamen bei Amena Abdis Schwester unter.

Ende April 2018 kommt es zum Erstkontakt mit dem DRK-Suchdienst: „Frau Abdi war allein geflohen und wollte nun ihre Kinder nach Deutschland holen. Die Väter der Kinder waren beide verstorben. Frau Abdi hatte allerdings keinerlei Unterlagen: Weder Sterbeurkunden der Väter noch Ausweise oder Geburtsurkunden der Kinder“, erinnert sich Silvia Meyer.

Rund drei Monate später liegen die Dokumente bis auf eine Sterbeurkunde vor, es folgt eine Terminbuchung zur Visabeantragung bei der Deutschen Botschaft in Nairobi. Nun heißt es jedoch erst einmal warten auf einen Termin bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Nairobi, welche als eine Art vorgeschaltete Instanz der Botschaft wirkt und die Papiere der Antragsteller vorab sichtet und prüft. Rund ein Jahr später trifft endlich die zweite Sterbeurkunde ein, doch ein Termin in Nairobi ist noch nicht in Aussicht. Wiederum ein Jahr darauf, im August 2020, erhält die Familie eine E-Mail der IOM mit der Nachricht, dass es wegen der Corona-Pandemie zu Verzögerungen kommt.

Nach langem Warten endlich Gewissheit: Die Flüge sind gebucht

Am 27. November 2020 dann die Terminzusage: Die Kinder können am 5. Januar 2021 einen Interviewtermin bei der IOM wahrnehmen. Gefordert wird nun allerdings eine DNA-Analyse von Mutter und Kindern. Letztere sind inzwischen nach Nairobi gezogen, wo sie nun in schwierigeren Verhältnissen leben. Im Dezember 2020 werden alle erforderlichen Unterlagen wie Ausweiskopien, Vollmachten und Einverständniserklärungen an das IOM-Büro in Nairobi gesendet. Dann die Antwort zur DNA-Analyse vom beauftragten Institut aus Hamburg: Amena Abdi ist tatsächlich die Mutter der Kinder. Den vier Töchtern und dem Sohn geht es mittlerweile sehr schlecht, wie Silvia Meyer berichtet: „Sie waren nicht mehr erwünscht, wo sie zu diesem Zeitpunkt lebten. Es wurde nach anderen Hilfsangeboten gesucht.“

Im April 2021 kommt es zum langersehnten Moment: Die Botschaft stellt die Visa aus. Abermals muss die Mutter eine Vollmacht einreichen, die es den Kindern erlaubt, alleine zu reisen. Anschließend müssen die Flüge gebucht werden. Am 1. Mai 2021 landen die fünf Kinder in Frankfurt am Main – und die jahrelange Prozedur mit vielem Hin und Her kommt zum Abschluss. Amena Abdi, die in der Vergangenheit viele Tränen geweint hat, kann ihr Glück kaum fassen. „Sie war so oft bei mir und hatte große Angst. Die ständigen Unsicherheiten waren für alle Beteiligten schlimm: Klappt es oder klappt es nicht?“, sagt Silvia Meyer. Sie ist froh um ihren beruflichen Hintergrund als Sozialpädagogin, denn auch als Beraterin gelte es, viel Leid aushalten zu müssen.

Familiennachzug ist keinesfalls ein Selbstläufer

Der DRK-Mitarbeiterin ist es ein Anliegen, anhand dieses Beispiels zu vermitteln, dass der Familiennachzug kein Selbstläufer ist. „Das ist kein Einzelfall“, unterstreicht sie. Zudem komme bei Flüchtlingen nur die Kernfamilie infrage, also Mütter oder Väter von Minderjährigen oder Ehepartner und Kinder unter 18 Jahren von Erwachsenen; Geschwister fallen zum Beispiel nicht unter diese Regelung. Abschließend betont Silvia Meyer, dass eine Flucht immer einen triftigen Grund habe: „Die Menschen fliehen nicht einfach so. Es gehört schon etwas dazu, wenn eine Frau ihre Kinder zurücklässt.“