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NKWD - Speziallager

Walter B. war 63 Jahre alt, Bürgermeister in einem Dorf in der Mark. Wilhelmine L. (42), Leiterin der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in einem Vorort von Berlin. Heinz-Jürgen S. (18), Lehrling in einem Betrieb in Erfurt und als „Werwolf“ verdächtigt. Heidemarie G. (16), Führerin des Bund Deutscher Mädel (BDM) in einem Dorf in Pommern. Friedrich L. (58), Mitglied in der NSDAP.

Wie viele andere werden sie alle im Sommer 1945 „abgeholt“ und sterben noch vor Weihnachten 1945 in den NKWD-Speziallagern von Buchenwald, Sachsenhausen, Fünfeichen und Berlin-Hohenschönhausen. Die Angehörigen zu Hause erfahren nichts von ihrem Schicksal in diesen Lagern. Ihr Verbleib bleibt unbekannt, nur gerüchteweise hören die Familien Jahre später von entlassenen Mitgefangenen etwas über sie. Aber auch diese können meist keine zuverlässigen Angaben über Todesursache, Sterbedatum oder den Ort der letzten Ruhestätte machen; ohnehin riskieren sie durch die Information der Angehörigen ihre erneute Einlieferung in ein Gefängnis der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

45 Jahre lang – vom Kriegsende 1945 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 – blieb dieses Thema in der ehemaligen DDR ein Tabu. Niemand wagte es, nach den Menschen zu fragen, die 1945 von der damaligen Besatzungsmacht abgeholt wurden und seitdem spurlos verschwunden waren. Nur in wenigen Fällen erhielten die Angehörigen auf ihre Anfragen an die DDR-Behörden einen offiziellen Bescheid, dass die Verschwundenen verstorben wären. Diese spärliche Nachricht enthielt jedoch keine weiteren Angaben oder die erhofften Einzelheiten über den Verbleib.

Entstehung der Lager

Mit dem Vormarsch der Roten Armee bis an die Elbe entsteht neben den beiden großen Lagerverwaltungen für Strafgefangene und Kriegsgefangene ein drittes Lagersystem, die Speziallager. Die Speziallager in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unterstehen der Verwaltung des sowjetischen Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD).

Der entscheidende Befehl Nr. 00315 zur Errichtung der Lager wird am 18. April 1945 erlassen mit dem Ziel der „Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppen der Roten Armee von feindlichen Elementen“. Er ist bis 1950 die Grundlage für alle Internierungen in der sowjetischen Besatzungszone und in der späteren DDR. Mit diesem Befehl setzt die Sowjetunion das in Jalta vereinbarte Kriegsziel der „Vernichtung des deutschen Militarismus und Nazismus“ um. In Anlehnung an die alliierten Vereinbarungen wird unter Punkt 1 des NKWD-Befehls der Kreis von Personen definiert, der in eigens dafür einzurichtenden Gefängnissen und Lagern „an Ort und Stelle“, d.h., in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, zu internieren sei.

Unmittelbar nach der Besetzung, aber auch bis weit in die kommenden Jahre hinein, werden Männer und Frauen, Jugendliche ebenso wie Greise auf unbestimmte Zeit in diese Lager gebracht. Die zehn Speziallager in der Sowjetischen Besatzungszone unterscheiden sich stark: Es werden ehemalige Konzentrationslager - wie Sachsenhausen und Buchenwald - genutzt. Das Lager Mühlberg entsteht in einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager; Weesow auf einem Flugplatz; Ketschendorf in einer Wohnsiedlung; Hohenschönhausen in einer Großküche der NS-Volkswohlfahrt mitten in Berlin.

Grund der Internierung

Bis heute gibt es keine zuverlässigen Angaben über die Anzahl derjenigen, die zwischen 1945 und 1950 in den Speziallagern des NKWD gewesen sind. Laut sowjetischen Quellen werden in dieser Zeit rund 123.000 Deutsche interniert , die sich als NS- oder Kriegsverbrecher schuldig gemacht oder angeblich gegen Befehle und Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht verstoßen haben. Die Festnahmen und Internierungen erfolgen zum Teil nach vorliegenden Listen der NS-Organisationen und NS-Gliederungen, zum Teil aufgrund von Denunziationen, häufig aber auch ohne jeden erkennbaren Grund. Rund 43.000 Häftlinge versterben in den Lagern, 45.000 werden nach der Auflösung der Lager im Jahre 1950 entlassen. Die verbliebenen Häftlinge deportiert man in die Sowjetunion, oder sie werden in 1950 an die Behörden der DDR übergeben und weiterhin in Gefängnissen festgehalten. Ein Teil dieser 14.200 Häftlinge wird in den berüchtigten Waldheim-Prozessen durch die DDR-Gerichtsbarkeit zu weiteren Haftstrafen verurteilt und erst im Laufe der 1950er Jahre wieder entlassen.

Kartei der "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit"

Beim DRK-Suchdienst gehen nach Kriegsende zahlreiche Anfragen nach dem Schicksal der Verschwundenen ein. Es gibt jedoch so gut wie keine Möglichkeit, ihren Verbleib aufzuklären. In Berlin stellt die "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit" (KgU) auf rund 900.000 Karteikarten eine Kartei mit den Namen der Verschollenen  zusammen. Sie soll in späteren Jahren für die Arbeit des DRK-Suchdienstes eine grundlegende Bedeutung bekommen. Seit Mitte der 1950er Jahre gehört diese Kartei zu den Beständen des DRK-Suchdienstes.

Sowjetische NKWD-Akten

Im Jahr 1990 kündigt der sowjetische Innenminister Wadim Bakatin schließlich überraschend an, die NKWD-Akten würden „demnächst freigegeben“. Vor allem in der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden DDR stößt diese Ankündigung auf großes Interesse. Beim DRK-Suchdienst gehen in kürzester Zeit rund 10.000 Anfragen ein. Im Dezember 1992 beginnen schließlich die Arbeiten im Zentralarchiv des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation. Schon kurze Zeit darauf stehen dem DRK-Suchdienst erste Informationen zur Verfügung.

Seit dieser Zeit werden die Unterlagen ausgewertet und betroffene Familien erhalten Jahrzehnte nach dem Tod ihrer Angehörigen Gewissheit über deren Schicksal. Jahrzehnte nach ihrer Entlassung aus den Lagern haben viele Menschen erstmals die Möglichkeit, sich diese Jahre in der Gefangenschaft bestätigen zu lassen. Diese Daten ermöglichen es ihnen außerdem, ein Rehabilitierungsverfahren über das Auswärtige Amt bzw. über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten einzuleiten.

Arbeit des DRK-Suchdienstes heute

Ist auch ein Mitglied Ihrer Familie nach Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs in 1945 spurlos verschwunden?
Da die Schicksale vieler damaliger Gefangener bis heute ungeklärt sind, nimmt der DRK-Suchdienst noch immer Suchanfragen von Angehörigen entgegen.

Persönlich steht Ihnen der Suchdienst in einem DRK-Landes- oder -Kreisverband in Ihrer Nähe zur Verfügung.

Darüber hinaus gleichen DRK-Suchdienst-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter die Karteikarten aus den 1950er Jahren mit den Original-Listen und den Daten aus den russischen Archiven ab. In Zusammenarbeit mit den Standesämtern an den Lagerorten werden abschließend die Sterbeurkunden erstellt. Dadurch erhalten die Menschen nach jahrzehntelanger Anonymität zumindest ihre Namen und ihre persönlichen Daten zurück.

Auch die Angehörigen von Walter B., Wilhelmine L., Heinz-Jürgen S., Heidemarie G. und Friedrich L. hat der DRK-Suchdienst ausfindig gemacht und benachrichtigt sie erstmals über den jeweiligen Sterbefall aus dem Jahre 1945, den die Standesämter nun endlich beurkunden können.

Initiativen gegen das Vergessen

Die Anfragen an den DRK-Suchdienst aus der Wissenschaft zu Auskünften über einzelne Personen oder Informationen zu den zehn NKWD-Speziallagern steigen. Vor allem die Initiativgruppen und Komitees der verschiedenen Lager arbeiten daran, die Archiv- und Dokumentationsarbeiten über die Gefangenen und die Bedingungen in diesen Lagern abzuschließen, solange noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zur Verfügung stehen. Zahlreiche Komitees sind daher derzeit damit befasst, Dokumentationen über die Lager zu erstellen sowie Gedenkstätten im Bereich der Lager zu errichten.

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